Notstand in der Pflege – weshalb uns die Fachkräfte ausgehen

Vom endlos zitierten «Fachkräftemangel» hört man mittlerweile fast täglich. Manchmal spürt man ihn auch in seinem Umfeld, wenn von Schwierigkeiten bei der Personalsuche erzählt wird. Aber dass er in gewissen Bereichen bald zu ernsten Problemen führen kann, und weshalb es ihn überhaupt gibt, wissen die wenigsten. Besonders stark betroffen vom Fachkräftemangel ist die Pflege. Damit steht nicht nur eine der wichtigsten Branchen der Schweiz vor einer Belastungsprobe. Der Mangel an Pflegekräften kann für jeden Einzelnen von uns zum Problem werden. Erfahren Sie hier, weshalb es zu wenig Pfleger und Pflegerinnen gibt und welche Gefahren uns dadurch drohen.

Warum gibt es gerade jetzt einen Mangel an Pflegekräften?

Das Hauptproblem des Fachkräftemangels in der Pflege liegt in der Zusammensetzung der Bevölkerung. Mitte der 60er Jahre erlebte die Welt eine wahre Bevölkerungsexplosion. Die Schweiz hatte damals eine Geburtenrate von über 2.5 Kindern pro Frau. Nach diesem unglaublichen Peak sank die Rate stetig und schnell, bis sie zu Beginn der 80er Jahre stagnierte und sich auf ungefähr 1.5 Kinder pro Person einpendelte. Dieser Wert blieb bis heute mehr oder weniger stabil.

Die Generation der «Baby-Boomer» wächst nun langsam aber sicher ins Rentenalter. Das stellt nicht nur die AHV vor grosse Herausforderungen, sondern wirkt sich auch stark auf die Pflege aus. Zum einen fallen mit einem Schlag viele erfahrene Fachkräfte in der Pflege weg. Zum anderen werden die Menschen dieser Generation altersbedingt immer anfälliger auf Krankheiten und somit vermehrt zu Pflegefällen. Zusammengefasst: Es werden Jahr für Jahr mehr Pfleger benötigt, während die Zahlen beim potentiellen Nachwuchs stets gleich bleiben.

Hätte man darauf nicht längst reagieren können?

Das kapitalistische System des freien Handelsmarktes lässt sich grundsätzlich auch auf den Arbeitsmarkt übertragen. Man geht also mehr oder weniger davon aus, dass sich der Markt selbst regulieren wird. Wenn in einer Branche das Personal knapp wird, können Angestellte mehr Lohn verlangen, da die Arbeitgeber auf sie angewiesen sind. Ein höherer Lohn wird dann auch automatisch mehr Personal anlocken. In diesem Fall konnte der Markt alleine dieses Loch jedoch nicht stopfen. Nun ist es allerdings schwierig zu reagieren, weil dieses Loch grösstenteils bereits im Zeitraum zwischen 1995 und 2005 entstand. In dieser Periode wären jährlich 7000 Ausgebildete benötigt worden, in der Realität absolvierten jedoch nur jeweils 3000-4000 eine Ausbildung in der Pflege. Einen derart hohen Bedarf konnte auch die Zuwanderung aus dem Ausland nicht auffangen.

Ist eine Besserung in Sicht?

Tatsächlich gibt es eine positive Entwicklung, was die Ausbildung zum Pflegepersonal betrifft. Zwischen 2010 und 2014 gab es bei den Abschlüssen insgesamt ein Wachstum von rund 30 Prozent zu verzeichnen. Trotzdem ist diese Anzahl noch längstens nicht ausreichend. Ein weiteres Problem der Pflege-Branche ist nämlich die enorm hohe Quote bei den Berufsaussteigern. In Spitzenjahren wechselte fast die Hälfte aller Angestellten in der Pflege den Job. Durchschnittlich arbeiten Pfleger und Pflegerinnen nur gerade zwölf Jahre auf ihrem Beruf. Zu den Hauptgründen zählt dabei, dass die Pflege aus Zeit- und Personalnot nicht so gewährleistet werden konnte, wie die Angestellten es für richtig hielten. Ein weiterer entscheidender Grund waren Überstunden. Diese beiden Gründe zeigen, dass sich die Pflegebranche in einem Teufelskreis befindet. Der Personalmangel verursacht derart schlechte Arbeitsbedingungen, dass das dringend benötigte Personal enorm schnell wieder vergrault wird. In einer Zeit, in der vielen Menschen die Arbeitsbedingungen wichtiger sind als der Lohn, ist dies fatal.

Was kann getan werden?

Das Thema ist mittlerweile zum politischen Dauerbrenner geworden. Es wird uns daher in nächster Zeit noch oft begegnen. Alleine auf politischen Einfluss zu warten, wird allerdings nicht reichen. Hierbei stehen die einzelnen Unternehmen in der Bringschuld. Punkte wie zusätzliche Ausbildungsplätze, optimierte Rekrutierungsprozesse, gezielte Ansprache von Fachkräften, bessere Durchmischung von Altersgruppen und insbesondere die Verbesserung von Arbeitgeberleistungen, müssen von den Arbeitgebern angegangen werden.