Zwischen Sicherheitsbedenken und Totalüberwachung am Arbeitsplatz

Die Welt wandelt sich. Die Digitalisierung greift um sich und vereinnahmt immer mehr Lebensbereiche. Daneben wächst auch die allumfassende Überwachung in gleichem Masse mit. Längst schon werden öffentliche Plätze von Kameras erfasst. In Detailhandelsketten oder der Gastronomie wundert sich inzwischen auch kaum einer mehr über das wachende Auge in der Ecke. Immer mehr Arbeitsplätze werden verkabelt und gefilmt. Doch so vielfältig die Gründe der Unternehmen für diese umstrittenen Massnahmen sind, so zahlreich sind ihre Risiken und die Auswirkungen auf Angestellte.

Sicherheitsbedenken des Arbeitgebers

Häufig wird die Abschreckung vor Diebstählen und Raubüberfällen angeführt, wenn installierte Kameras begründet werden sollen. Das ist auch vollkommen legitim, erhöht es doch das subjektiv wahrgenommene Sicherheitsgefühl. Doch die Unternehmen fürchten nicht nur Aussenstehende, wie Einbrecher, Räuber und Ladendiebe. Auch der Mitarbeiter steht immer häufiger unter Generalverdacht. «Jeder Mitarbeiter kann zum Sicherheitsrisiko werden«. Ein einzelner Angestellter kann dem Unternehmen bereits erheblichen Schaden zufügen. Entweder bewusst oder gänzlich unabsichtlich.

Der naive Umgang mit dem Firmencomputer, auf dem auch mal heikle Internetseiten abgerufen werden oder schwach gewählte Passwörter können Firmengeheimnisse in fremde Hände befördern oder sogar das gesamte Firmennetzwerk lahmlegen. Hackerangriffe und Versuche mit Phishing (Fälschen von offiziellen E-Mails und Webseiten mit Aufforderung zur Preisgabe von Passwörtern o.Ä.) an Firmen- und Kundendaten zu kommen, sind ebenfalls durchgehend aktuelle Probleme. Besser wird die Situation auch nicht durch den «BringYourOwnDevice»-Trend, bei dem Angestellte ihre eigenen Computer und Geräte für geschäftliche Arbeiten benutzen. Ein sicherheitstechnischer Super-GAU. Um das potenzielle Risiko durch den einzelnen Mitarbeiter zu bewerten, gibt es für Unternehmen sogar ein Online-Tool. Es prüft anhand cleverer Fragen das jeweilige Sicherheitsverständnis im privaten, öffentlichen und geschäftlichen Bereich auf Herz und Nieren. Dadurch sollen im Vorfeld Kandidaten ermittelt werden, die zu unsicheren und unbedachten Handlungen neigen.

Ganz nebenbei lassen sich diverse Überwachungsmechanismen auch dazu verwenden, die individuelle Arbeitsmoral zu erfassen. Telefoniert der Angestellte etwa während der Arbeitszeit öfters privaten Angelegenheiten hinterher oder schaut regelmässig ganze Youtube-Playlisten durch, entsteht für den Arbeitgeber ein bezifferbarer Schaden in Form von verlorener Arbeitszeit. Der Grat zwischen Optimierung und Paranoia ist fliessend.

Totalüberwachung des Mitarbeitenden

Die Skandalaffären der letzten Jahre, wie die gezielte Überwachung von Mitarbeitenden bei Aldi oder der Telekom in Deutschland und auch in der Schweiz hinterlassen bei jedem Anblick einer Sicherheitskamera einen faden Beigeschmack. Das Gefühl des geschützten und behüteten Daseins weicht der permanenten Selbstkontrolle. Schliesslich möchte niemand den Verdacht einer geplanten Untat oder gar des Terrorismus auf sich lenken oder seinen Job aufs Spiel setzen.

Tatsächlich reichen die Überwachungsmassnahmen vor Ort oft weiter, als erwartet wird. «Mit Hilfe spezieller Software wird die gesamte Kommunikation von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen flächendeckend protokolliert und ausgewertet«. Häufig ohne sie darüber in Kenntnis zu setzen, obwohl das Datenschutzgesetz dazu klare Regeln vorsieht. Das Sammeln von Daten ohne Begründung und die Überwachung auf Vorrat sind verboten. Bei begründetem Tatverdacht kann dies sehr wohl zulässig sein. Die Grauzone dazwischen ist gross. Besonders problematisch ist jedoch, dass Firmen immer mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um verschiedenste Daten zu erheben und zu verknüpfen. Im schlimmsten Fall lassen sich aus den Datensätzen brisante Nutzerprofile anlegen, mit denen die Mitarbeitenden unter Druck gesetzt werden könnten. Gegebenenfalls bieten die demografischen Daten einer Person in Kombination mit der beruflichen Position, den Krankheitsmeldungen und der persönlichen Kommunikation (Interessen, Neigungen etc.) genug Angriffsfläche und Druckmittel bei zukünftigen Verhandlungen.

Hat ein Mitarbeitender den Verdacht, dass missbräuchlich im grossen Stil Daten über ihn oder sie gesammelt werden, muss er diesen Umstand auch noch selbst beweisen und beim Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten oder dem zuständigen Arbeitsinspektorat anzeigen. Dabei ist das Nachweisen für den Betroffenen in den meisten Fällen unmöglich und wird deswegen nicht geahndet.

Das Dazwischen

Erlaubt ist eine Überwachung generell nur bei triftiger Begründung. Schutz von Eigentum und Personen stellen eine solche dar. Jedoch sind Rückzugsorte wie Pausenräume und Toiletten in jedem Fall von jeglicher Überwachung ausgeschlossen. Angebrachte Kamerasysteme müssen für Kundschaft und Mitarbeitende jederzeit sichtbar sein. Zusätzlich müssen Hinweisschilder vor Betreten der Räumlichkeiten auf den Umstand hinweisen. Für eine Kontrolle des Telefons oder des digitalen Schriftverkehrs muss ein spezieller Passus im Arbeitsvertrag vorhanden sein, damit das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen gewahrt wird.

Alle Mitarbeiter als Sicherheitsrisiko zu betrachten, schadet jedoch dem innerbetrieblichen Arbeitsklima. Mehr noch. Es mindert die Zufriedenheit des Angestellten merklich. Unglückliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind weniger produktiv und fühlen sich im Umgang mit Kollegen und Kolleginnen gehemmt. Der zusätzliche Stress, gefilmt zu werden, hat auch gesundheitliche Folgen. Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Burn-Out sind in der Arbeitswelt nur zu gut bekannt. «Das kostet die Volkswirtschaft mehrere Milliarden Franken pro Jahr«. Ein unzufriedener Mitarbeitender wird eher dazu neigen, seinem Arbeitgeber Schaden zuzufügen, als ein rundum glücklicher.

Wohin diese Entwicklung langfristig führen wird, bleibt abzuwarten. Die Zeichen deuten zwar eher eine dystopische Überwachungswelle an als Glückseligkeit für alle Angestellten. Doch solange Datenschutz und Rechtsstaatlichkeit noch im Sprachgebrauch Verwendung finden, ist die Hoffnung nicht verloren.

Quellen: NZZ, ktipp.ch, handelszeitung.ch, 20min.ch, welt.de, srf.ch